Was Hochsensibilität ist, plus Forschungsstand

Hochsensibilität wird als ein angeborener Wesenszug verstanden, der mit einer erhöhten Reaktion auf unbekannte Reize aller Art und Situationen sowie deren tiefere Verarbeitung einhergeht. Dabei können interne Reize (z. B. Hunger, Schmerzen, Empfindungen) sowie externe Reize (z. B. Geräusche, Licht, Temperaturen) intensiver wahrgenommen und verarbeitet werden.

Wie ein hochsensibler Mensch die Feinheiten in seiner Umgebung und die damit verbundene Situation erlebt, bewertet und darauf reagiert, kann für ihn vorteilhaft oder auch nachteilig sein.

Hochsensibilität in der Forschung

Die Forschung nach Prof. Dr. Elaine Aron

In den letzten Jahren wurden einige Forschungsstudien zum Thema Hochsensibilität veröffentlicht. Der wissenschaftliche Begriff für eine „highly sensitive person, kurz: „HSP“ beschreibt einen Menschen mit einer besonderen sensorischen Verarbeitungssensitivität und wurde durch Prof. Dr. Elaine Aron als „Sensory Processing Sensitivity“ Ende der 90er-Jahre bekannt.

In der heutigen Literatur ist eher die Rede von hochsensiblen oder auch hochsensitiven Menschen.

Aron entwickelte damals ein Messinstrument – einen Fragebogen mit 27 Fragen – um das Ausmaß der Hochsensibilität von ihren Probanden zu erfragen. In einer Serie von Studien entdeckte sie, dass das theoretische Konstrukt Hochsensibilität nicht das gleiche ist wie Introversion oder Schüchternheit.

Nach Aron gibt es etwa 20 % Hochsensible in der Bevölkerung. Dabei sind wohl 70 % der Hochsensiblen eher introvertiert (zurückhaltend und nach innen gewandt) und etwa 30 % extrovertiert (gesellig und nach außen gewandt). Dabei stand noch ihr Gedanke einer Kategorie, ein Mensch ist entweder „hochsensibel“ oder „nicht-hochsensibel“ im Vordergrund.

Arons DOES-Modell

Später entwickelte Aron ein Modell, wobei Hochsensible vier Hauptmerkmale aufweisen müssen, um für die Wissenschaftlerin als hochsensibel zu gelten.

DOES ist das Akronym für

D – Depth of processing = gründliche Informationsverarbeitung

O – Overstimulation = Übererregbarkeit

E – Emotional reactivity and empathy = Emotionale Intensität und Empathie

S – Sensing of the subtle = sensorische Empfindlichkeit

Nachfolgende Forschung

Die Forschung anderer Kolleginnen und Kollegen danach ergab, dass die Hochsensibilität eher als ein Kontinuum = Jeder Mensch ist auf seine Art und Weise sensibel, der eine weniger, der andere mehr = zu betrachten ist. Dabei entdeckten Lionetti, Aron und Kollegen 2018, dass die „Hochsensitiven – auch die Orchideengruppe genannt“ circa 30 % der Bevölkerung umfassen und vor allem durch günstige Umweltbedingungen profitieren.

Gibt es also doch mehr Hochsensible als angenommen?

Und was, wenn die Umweltbedingungen für Hochsensible gar nicht so günstig sind?

Forschung in Deutschland

Die bisher größte Untersuchung in Deutschland durch Konrad und Herzberg umfasste mehr als 3500 Probanden in 2017. Sie waren es auch, die das deutsche Messinstrument mit 26 Fragen weiterentwickelten und darauf aufmerksam machten, dass das originale Messinstrument von Aron teilweise aus Fragen besteht, die für Teilnehmende unklar formuliert sind.

Konrad und Herzberg identifizierten, wie vor ihnen andere Wissenschaftler auch drei Faktoren, die der Hochsensibilität entsprechen. Hochsensible Menschen fühlen sich von inneren und äußeren Reizen leicht überwältigt (leichte Erregbarkeit; EOE = Ease of Excitation), haben ein besonders stark ausgeprägtes Bewusstsein für Ästhetik (ästhetische Sensibilität; AES = Aesthetic Sensitivity) und weisen eine herabgesetzte Reizschwelle für äußere Stimuli auf (niedrige sensorische Reizschwelle; LST = Low Sensory Threshold).

Umweltsensibilität

Erst kürzlich wurde das Phänomen der Hochsensibilität auch unter dem übergeordneten Begriff der „Environmental Sensitivity“ eingeordnet, um die wissenschaftliche Anerkennung verschiedener Forschungsströmen zu fördern. Dabei erarbeiteten Wissenschaftler in voneinander unabhängigen Studien mit Kindern und Erwachsenen vergleichbare Ergebnisse zur Sensibilität von Umweltreizen.

Zum Beispiel sind die Wissenschaftler Pluess und Belsky der Meinung, dass positive Erfahrungen für bestimmte Personen vorteilhafter sind (Vantage Sensitivity), während die gleichen Erfahrungen für andere Personen keinen Vorteil bringen (Vantage Resistance). Sie nehmen an, dass hochsensible Menschen höchstwahrscheinlich empfänglicher für positive und negative Erfahrungen sind und insbesondere von unterstützenden Bedingungen, also positiven Einflüssen, profitieren.

Fazit

Innerhalb der Psychologie wurde das Phänomen „Hochsensibilität“ bisher zu wenig untersucht. Außerdem gibt es keine universelle Betrachtung der Natur der Sensibilität samt einer allgemeingültigen neurowissenschaftlichen Definition, was weiterhin zu unterschiedlichen Studienergebnissen führt. Solange die Psychologie nicht erkennt, dass es wertvoll ist, sich diesem spannenden Thema zu widmen, kommt es weiterhin zu wissenschaftlichen Erkenntnis-Verzerrungen.

Bist du interessiert an weiterer Forschung, dann schreib mir eine Mail.

Quellen:

Aron, E. N. (2015). Sind Sie Hochsensibel? Wie Sie Ihre Empfindsamkeit erkennen, verstehen und nutzen. mag Verlag: München

Aron, E. N. (2014). Hochsensible Menschen in der Psychotherapie. Junfermann-Verlag: Paderborn

Aron, E. N. & Aron, A. (1997). Sensory-processing sensitivity and its relation to introversion and emotionality. Journal of Personality and Social Psychology, 73 (2), 345-368.

Boyce, W. T. & Ellis, B. J. (2005). Biological sensitivity to context: An evolutionary-developmental theory of origins and functions of stress reactivity. Development and Psychopathology, 17, 271-301.

Greven, C. U., Lionetti, F., Booth, C., Aron, E. N., Fox, E., Schendan, … Homberg, J. (2019). Sensory processing sensitivity in the context of environmental sensitivity: A critical review and development of research agenda. Neuroscience and Biobehavioral Reviews.

Lionetti, F., Aron, A., Aron, E.N., Burns, G. L., Jagiellowicz, J. & Pluess, M. (2108). Dandelions, tulips and orchids: Evidence ofr the existence of low-sensitive, medium-sensitive and high-sensitive individuals. Translational Psychiatry, 8 (1), 1-11.

Pluess, M. (2015). Vantage sensitivity: Environmental sensitivity to positive experiences as a function of genetic differences. Journal of Personality, 1-13.

Pluess, M. & Belsky, J. (2013). Vantage sensitivity: Individual differences in response to positive experiences. Psychological Bulletin, 139 (4), 901-916.